Deutsch
Name des Museums
Titel des Bildes
Zur letzten Objektsuche Zum Album hinzufügen

Außenflügel (Vorder- und Rückseite) - Altar der Ulmer Wengenkirche

Objektbezeichnung:Altarflügel (Fragment)
Sachgruppe:7. Altarschreine
Künstler:
Zeitblom, Bartholomäus
Künstler:
Stocker, Jörg
Ort:Ulm
Datierung:um 1510
Maße:H: 119 cm (ohne Rahmen), B: 64,5 cm (ohne Rahmen)
Material:Fichte
Technik:Öl (auf Kreidegrund)
Stil:Gotik
Bei dem beidseitig bemalten Tafelfragment handelt es sich um ein Teilstück aus dem oberen Register des linken Außenflügels. Während die Begegnung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte den Marienzyklus der ersten Wandlung einleitete, versteht sich die Szene mit Judas und den Häschern als Hintergrundsausschnitt einer großen Gethsemane-Komposition, die bei geschlossenen Flügeln beide Tafeln mit der ungefähren Gesamtfläche von 2,50 m x 2,80 m komplett einnahm.
Als erstes Bildfeld der sechzehnteiligen Folge der ersten Wandlung des Wengenretabels erschien im oberen Register des linken Außenflügels die Szene mit der Begegnung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte. Das sich begrüßende schlanke Paar und die Architektur des Stadttores dominieren so deutlich, daß nur schmale Bildstreifen die nahsichtige Komposition zu erweitern vermögen. In der Art einer Schlüssellochperspektive wird durch die in die Tiefe gestaffelten Torbögen der Blick einerseits auf ein Fachwerkhaus mit Storchennest auf dem Schornstein gelenkt, während am rechten Bildrand hinter einem Bachlauf mit hölzerner Brücke andererseits die zinnenbekrönten Türme einer Wasserburg vor felsiger Kulisse aufragen. Beide Ausblicke bleiben vollkommen menschenleer und verraten erhebliche Maßstabsbrüche, beeindrucken aber durch die Genauigkeit der Naturbeobachtung und der realistischen Wiedergabe des Dinglichen. Dazu gehören auch solche Details wie die beiden Propheten(?)-Figuren zu Seiten der Torfahrt, unter deren Füßen zwei heraldisch korrekte Wappenschilde angebracht sind, von denen der eine derjenige des Wengenklosters ist. Das zweite Wappen konnte bislang noch nicht eindeutig identifiziert werden.
Ganz anders der Zugriff des Malers auf der Tafelaußenseite mit der Teilszene des in den Garten Gethsemane eintretenden Verräters Judas. Die hügelige Landschaft ist hier nur äußerst summarisch wiedergegeben. Pforte und Zaun sind jedoch nicht nur akzidentielles Beiwerk, sondern wohlkalkulierte Kompositionsmittel. Der rothaarige Judas in gelbem Gewand mit deutlich sichtbarer Geldkatze vor der Brust hat als Erster bereits die Pforte durchschritten, während die volkreiche Gruppe der Häscher in glaubhafter sukzessiver Größenentwicklung soeben aus dem Hintergrund auftaucht. Hier wird geschickt mit dem optischen Kunstgriff eines sich öffnenden Hohlweges gearbeitet, an dessen Ende nur die Spitzen der Hellebarden, Spieße und Feldzeichen erkennbar sind, die die Soldaten mit sich führen. Der Verlauf einer Handlung und damit der Faktor der Zeit erscheint thematisiert, nicht das statische Verharren, wie es für die auf der Tafelinnenseite dargestellte Szene zu beobachten war.

Das Retabel der Wengenkirche wurde von mehreren Ulmer Künstlern und ihren Werkstätten ausgeführt. Unbestritten ist die Zusammenarbeit Batholomäus Zeitbloms mit Jörg Stocker. Als dritter Künstler kommt der namentlich unbekannte Meister des Pfullendorfer Retabels hinzu, von Niklaus Weckmann als möglichem Bildschnitzer ganz zu schweigen. Nach Gerhard Weilandt 1993 wird die ehemalige Innenseite der Außenflügel, von der auf dem Lübecker Fragment die Begegnung an der Goldenen Pforte stammt, der Zeitblom-Werkstatt zugeordnet, während die Stocker-Werkstatt die bemerkenswert großflächige Darstellung der Not Christi am Ölberg geschaffen haben soll, deren Hintergrundszene mit dem in den Garten Gethsemane eintretenden Verräter Judas die Außenseite des Tafelfragments einnimmt.
Das für den Altar der 1473 gegründeten Lukasbruderschaft gestiftete Wengenretabel gibt sich somit als ein Gemeinschaftswerk jener Ulmer Künstler des beginnenden 16. Jahrhunderts zu erkennen, die wohl zugleich Mitglieder der Bruderschaft waren. Dieses Privileg stand nur den Meistern (und ihren Frauen) zu, nicht hingegen den Gesellen oder Lehrlingen.

Albrecht 2005, Kat. Nr. 168

Literatur:
  • Stange, Alfred: Deutsche Malerei der Gotik, VI Nordwestdeutschland in der Zeit von 1450 bis 1515, Berlin, 1954
  • Stange, Alfred: Deutsche Malerei der Gotik, VIII Schwaben in der Zeit von 1450 bis 1500, München, Berlin, 1957
  • Bushart, B.: Neue Studien zur Altschwäbischen Malerei., in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, XXII, 1959, S. 133-157
  • Stange, Alfred: Kritisches Verzeichnis der deutschen Tafelbilder von Dürer, II, München, 1970
  • Wittstock, Jürgen: Kirchliche Kunst des Mittelalters und der Reformationszeit. Die Sammlung im St. Annen-Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck, I (Lübecker Museumskataloge), Lübeck, 1981
  • Pfeil, Daniela Gräfin von / Gerhard Weilandt: Die Künstlerbruderschaft in der Kirche zu den Wengen in Ulm und ihr Altarretabel, in: Meisterwerke massenhaft, Stuttgart, 1993, S. 388-397
  • Albrecht, Uwe: Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur in Schleswig-Holstein, 1 Hansestadt Lübeck, St. Annen-Museum, Kiel: Verlag Ludwig, 2005

Inventarnummer: 2482d

Abbildungsrechte: St. Annen-Museum


Ikonographie:     
Begegnung Anna und Joachims an der Goldenen Pforte
     
Gefangennahme Christi